
Heute gibt es das letzte Kapitel zu meiner Adventskalender-Geschichte. Mit dem fünften Kapitel endet die Geschichte um Piff und Ānma. Ich wünsche euch ganz viel Spaß damit.
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Winter im Tausendlichterwald
von Julia Freyer
Kapitel 5
Schneeflöckchen tanzten um Piffs Gesicht, als die angsterfüllten Rufe der Elfen an ihre Ohren drangen. Doch sie hörte sie wie durch einen dichten Nebel. Dumpf und verschwommen. Jemand packte ihren Arm und versuchte sie von Ānma fortzuziehen. Da wurde auf einmal alles klar und Piff schüttelte die Hand energisch ab. Sie sah noch oben. Es war Galandra, die nach ihr gegriffen hatte. Aber wieso? Als Piff ihr nicht folgte, wich sie hektisch zum Herzbaum und ihrer Mutter zurück. Piff schüttelte verwundert den Kopf.
»Was ist denn nur mit euch los?«, rief sie verwirrt.
»Das Monster!«
»Es hat uns gefunden.«
»Es wird uns alle vernichten!«
Piff wendete ihren Kopf in alle Richtungen. Aber so viel sie auch umher sah, sie konnte das Monster nicht entdecken. Ānma wich einige Schritte von ihr zurück, so als wolle es fortgehen. Piff drehte sich zu ihm um. Sein Gesicht war versteinert.
»Bleib hier«, flüsterte Piff, »wenn das Monster kommt, dann kannst du uns beschützen.«
Ānmas Mine verwandelte sich und es warf Piff einen irritierten Blick zu.
»Piff!«, rief plötzlich die glockenhelle Stimme von Galandra, »bring dich in Sicherheit. Geh von dem Monster weg!«
Piff hob empört die Arme und schrie zurück: »Wo ist das Monster denn? Ich kann es nicht sehen.«
»Dort«, kreischte Galandra, »das Monster steht doch direkt neben dir.«
Piff drehte sich um und sah nur Ānma neben sich stehen. Dann ganz langsam sickerte die Erkenntnis zu ihr durch.
Sie hielten Ānma für das Monster.
Die Eulenkatze, die sie selbstlos aus dem tiefen Wald geführt hatte, sollte das furchterregende Monster sein, das dem Tausendlichterwald die Lichter gestohlen hatte. Aber nein, wie konnten sie nur etwas so Absurdes denken. Natürlich hatte Piff Ānma auch kurz für das Monster gehalten. Jedoch war das gewesen, bevor sie es überhaupt gesehen hatte. Piff schüttelte energisch den Kopf. Unmöglich! Wie konnte man Ānma für das Monster halten, wenn man es mit seinen eigenen Augen sah?
»Du hast es in unsere Mitte geführt!«, schrie Galandras Mutter anklagend und deutete mit ihrem langen Finger auf Piff, »du dummer Kobold hast uns in Verderben gestoßen!«
Piff schnappte nach Luft, wollte etwas erwidern, aber ihr Mund klappte nur auf und zu. Wie konnte sie nur so etwas Gemeines sagen? Ānma wollte gerade die Flucht ergreifen, als Piff nach seiner Hand griff.
»Das«, sagte sie mit fester und lauter Stimme, so dass sie jeder auf der Lichtung hören konnte, »ist kein Monster!«
»Aber natürlich«, keifte die grässliche Elfe, »sieh es dir doch an. Es ist grotesk. Es ist hässlich. So etwas kann nur ein Monster sein.«
Wieder verschlug es Piff die Sprache. War diese Elfe wirklich so ignorant?
»Es sind doch immer die hässlichen Kobolde, die solche Probleme machen«, hörte Piff auf einmal jemanden in der Gruppe der Elfen sagen. Sie schnappte nach Luft. Jetzt war aber genug!
Da zupfte Ānma an ihren Haaren.
»Lass es gut sein, Piff«, flüsterte es niedergeschlagen, »gegen den Starrsinn der Elfen kommst du nicht an. Ich habe dich sicher zum Herzbaum gebracht und jetzt werde ich wieder gehen.«
Piffs Herz klopfte wie wild. Sie verstand einfach nicht, was vor sich ging. Wieso wollte Ānma das einfach hinnehmen? Die Elfen beschuldigten es, dem Wald sein Licht geraubt zu haben und ihnen nichts als Verderben gebracht zu haben, und es wollte das einfach so akzeptieren?
»Nein«, sagte Piff energisch zu Ānma, »das lasse ich nicht zu.«
Dann richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf und wandte sich wieder den versammelten Bewohnern des Tausendlichterwaldes zu.
»Dann bin ich also auch ein Monster?«, fragte sie mutig, »denn ich bin nicht weniger hässlich als Ānma.« Piff suchte nach Galandras Gesicht und entdeckte sie hinter ihrer Mutter. Auch sie hatte das Gesicht voller Abscheu verzogen. Hatte Ānma etwa Recht gehabt? Waren alle Elfen gleich? Oberflächlich, ignorant und herzlos?
»Ānma mag zwar sonderbar aussehen, aber es hat mir geholfen, als ich in großer Not war. Ich hatte mich im dunklen Wald verlaufen und den Weg nicht mehr gefunden. Ānma hat mich entdeckt und die ganze Nacht neben mir Wache gehalten. Ohne seine Hilfe hätte ich nie wieder zum Herzbaum zurückgefunden. Könnt ihr denn nicht über sein merkwürdiges Äußeres hinwegsehen? Unter diesem Pelz steckt so viel mehr als auf den ersten Blick zu erahnen ist.«
»Aber«, setzte die grässliche Elfe an, »wie kann ein so hässliches Wesen gut sein?«
»Seid ihr wirklich so verbissen, dass ihr nur eure Perfektion sehen könnt?«, fragte Piff verständnislos, »und wer bist du überhaupt, dass du so vorschnell urteilst?«
»Ich bin die Älteste der Elfen und die Beschützerin des Herzbaumes«, antwortete die gehässige Elfe mit erhobenem Haupt.
Wie bitte? Dieses unmögliche Geschöpf sollte die Anführerin der Elfen sein? »Das gibt Euch noch lange nicht das Recht, so über meinen Freund zu sprechen«, empörte sich Piff und verschränkte die Arme vor der Brust.
Plötzlich schob sich Ānma an Piff vorbei und trat auf die Elfen zu. Ein Aufschrei kam aus Galandras Richtung.
»Ihr habt Recht«, donnerte seine tiefe Stimme, »ich bin das Monster, vor dem ihr euch fürchtet.«
Piff stutzte. Was hatte Ānma da gerade gesagt? Sie war das Monster? Das konnte unmöglich wahr sein.
»Ha«, schrie die Älteste auf, »ich habe es doch gewusst. Fort mit dir Bestie!«
»Nein, Ānma«, flüsterte Piff und blickte seinem neuen Freund tief in die Augen, »lass das. Wir gehen lieber wieder.«
Aber Ānma schüttelte langsam den Kopf.
»Ich danke dir, Piff«, sagte es und plötzlich klang seine Stimme zart und warm, »ich danke dir für dein großes Herz. Es ist nun endlich an der Zeit.« Piff runzelte die Stirn. Was sollte das nun wieder bedeuten?
»Ich bin das Monster«, rief Ānma, nun wieder mit rauer, lauter Stimme, »aber nicht so, wie ihr denkt. Die Lichter sind nicht erloschen, als ich gekommen bin. Nein, es war genau andersherum. Ich bin gekommen, als die Lichter erloschen sind. Nicht ich habe die Dunkelheit gebracht, sondern die Dunkelheit hat mich verschlungen. Nicht ich habe die Wärme verglühen lassen, sondern die Kälte ist in mein Inneres gekrochen.«
»Ich bin nicht irgendein Monster, das euch nach dem Licht trachtet«, schrie Ānma nun und plötzlich lag Verzweiflung in seiner Stimme, »ich bin die verkümmerte Seele des Tausendlichterwaldes und eure Ignoranz und Lieblosigkeit hat mich aus meinem Zuhause vertrieben!«
Ein Raunen ging durch die versammelten Geschöpfe. Was hatte Ānma gerade gesagt? Piff konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sein Freund war das Monster und dann auch wieder nicht? Ānma sollte die Seele des Waldes sein?
»Ihr seid Schuld daran, dass meine Lichter erloschen sind«, Ānma deutete mit ihrer riesigen Hand auf die Älteste und die anderen Elfen, »eure Herzen sind über die Jahre so verkommen, dass ihr nur noch die äußere Schönheit sehen konntet. Ihr habt euch vor der wahren Liebe verschlossen und jeden, der nicht perfekt war, geächtet. Jeder gehässige Kommentar von euch Elfen hat mir einen Stich versetzt. Mit jeder Gemeinheit verlosch ein weiteres meiner Lichter. Bis mich schließlich nichts mehr im Herz das Waldes hielt. Ich habe meinen Baum verlassen und bin immer tiefer in den dunklen Wald geflohen. Immer weiter fort von eurer Überheblichkeit. Je weniger Liebe und Wärme ich spürte, desto grässlicher wurde mein Äußeres. Bis ich schließlich zu dem Monster wurde, von dem ihr euren Kindern erzählt habt.«
Auf der Lichtung des Herzbaumes war es mucksmäuschen still. Niemand wagte etwas zu sagen. Viele hielten sogar den Atem an. So auch Piff. Sie konnte noch nicht begreifen, was sie dort hörte.
»Bis zu dem Moment, an dem ich Piff traf«, Ānma wandte sich dem Kobold zu und seine Stimme wurde wieder sanft, »sie sah über mein hässliches Aussehen hinweg. Sie blickte direkt in meine Seele und erkannte, was ich wirklich war, auch wenn sie es nicht begreifen konnte. Zum ersten Mal in all den Jahren fühlte ich Wärme und Licht und Liebe. Piff war so frei von Vorurteilen und bösen Gedanken. Langsam spürte ich wie das Licht in meinem Innern wieder zu leuchten begann.«
Ānma wandte sich erneut den anderen zu und sofort wurde seine Stimme hart.
»Und dann habt ihr euch mit demselben Gesicht gezeigt, das ich von euch kannte. Oberflächlich, gehässig und unbelehrbar. Ihr habt mich nur eine Sekunde angesehen und habt sofort entschieden, es ist hässlich, das muss das Monster sein. Und zu allem Überfluss habt ihr euch Piff gegenüber nicht besser verhalten. Ihr habt sie von oben herab behandelt, so wie ihr es immer mit denen tut, die nicht eurem Bild von Schönheit entsprechen.«
Ānma spuckte verächtlich auf den Boden. »Eigentlich«, setzte es an und seine Stimme wurde zu einem bedrohlichen Zischen, »sollte ich euch alle bestrafen.«
Ein Aufschrei zerriss die Stille der erstarrten Elfen und anderen Geschöpfe.
»Aber«, Ānmas Stimme wurde wieder sanft, »Piff hat mich trotz allem immer weiter verteidigt. Ihr Herz ist so groß, dass sie euch lieber den Rücken zuwendet, als zu akzeptieren, dass ich das Monster bin. Auch jetzt will sie es immer noch nicht hinnehmen. Ihre Wärme überstrahlt alle Kälte, die ihr aussendet.«
»Und deswegen«, Ānma holte tief Luft und sah Piff tief in die Augen, »bin ich bereit zurückzukehren und euch noch eine Chance zu geben.«
Ānma breitete die Arme aus. Plötzlich erstrahlte ein greller Lichtschein, der aus der Mitte des Herzbaumes entstand und genau auf Ānma fiel. Piff stand mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund da und starrte auf das Spektakel. Der Lichtstrahl umhüllte Ānma und hob sie empor. Dann wurde er so gleißend hell, dass Piff und die anderen geblendet die Arme vor das Gesicht hielten. Als das Licht langsam verglühte, schlug Piff die Augen wieder auf. Doch Ānma war verschwunden. Die riesige, zottelige Eulenkatze war weg. An ihrer Stelle schwebte ein kleines Wesen, das kaum größer war als Piffs Gesicht, in der klaren Winterluft.
Piff trat näher heran und streckte behutsam die Hand aus. Eine glitzerende Fee flog zu ihr hinab und lächelte Piff aufmunternd an. Sie sah aus wie der Fee-gewordene Herzbaum. Ihre Haut schillerte im selben Gold, wie das Holz des Baumes. Ihre Kleidung und die durchsichtig schimmernden Flügel waren grün wie die Blätter. Und ihre lockigen Haare und die Lippen von demselben blasslila wie die Winterblüte. Nichts ließ mehr erahnen, dass dieses Wesen vor kurzem das große Monster gewesen war. Nur die Augen waren noch dieselben – katzenhaft geschwungen und leuchtend gelb.

»Ich danke dir, Piff«, sagte die Fee sanft, »wegen deiner bedingungslosen Liebe konnte ich endlich wieder zurückkehren.«
Piff nickte sprachlos. Die Fee flatterte mit ihren schimmernden Flügeln und flog hinüber zu den Elfen, die sie stumm anstarrten. Als sie direkt vor ihnen war, fiel zuerst die Älteste und dann alle anderen vor ihr auf die Knie.
»Verschont uns!«, flehte die Älteste, »wir wussten nicht…«
»Ich bin Ānma, die Seele des Tausendlichterwaldes und Beschützerin des Herzbaumes«, rief Ānma mit ehrfurchtgebietender Stimme und unterbrach die Elfe forsch, »ich gebe euch hiermit noch eine Chance. Nehmt euch ein Beispiel an Piff. Findet die Wärme und Liebe in euren Herzen wieder und kehrt zurück zu dem lichterfüllten Leben, das ihr vor so vielen Jahren geführt habt. Bevor ihr von Ignoranz und Oberflächlichkeit zerfressen wurdet. Ich werde euch wachsam beobachten und euch prüfen. Nehmt die Hilfe der Kobolde, Gnome, Zentauren und anderen Geschöpfe an. Lasst euch von ihnen zeigen, worauf es wirklich ankommt. Und so werden wir es gemeinsam schaffen, dass meine Lichter – eins nach dem anderen – wieder in den Bäumen erstrahlen.«
Mit jedem Wort war Ānmas Stimme ruhiger geworden. Doch ein letztes Mal noch verfinsterte sich ihre Mine, und sie setzte bedrohlich hinzu: »Merkt euch eines! Der Wald kann ohne euch Elfen bestehen, aber ohne Seele wird er verderben.«
Piff betrachtete die Szene aus einer gewissen Ferne. Auch wenn sie langsam verstand, was geschehen war, so konnte sie es immer noch nicht richtig glauben. Sie würde wohl noch ein paar Tage brauchen, um das gesamte Ausmaß der letzten Tage zu begreifen. Ein Räuspern riss sie aus ihren Gedanken. Piff hob den Kopf und sah in Galandras Gesicht, die plötzlich neben ihr stand.
»Piff«, sagte sie zögernd, »Es… es tut mir leid, wie ich dich behandelt habe.«
Piff runzelte die Stirn.
»Angenommen«, antwortete sie schließlich.
»Vielleicht magst du mir ja einmal zeigen, wie man sich besser verhält?«, fragte Galandra, und Piff hätte schwören können, dass ihre Wangen leicht rot anliefen. Beinahe hätte sie bei diesem Anblick alles vergessen, was sie gerade gelernt hatte. Fast hätte sie sich wieder einlullen lassen. Also straffte Piff die Schultern.
»Das ist nett von dir Galandra, aber ich suche mir lieber jemanden, dessen Äußeres und Inneres besser zu mir passen.«
Mit diesen Worten ließ sie die verdutzte Elfe stehen und ging mit großen Schritten zum Herzbaum empor. Mit einem Mal fühlte sie sich leicht und beschwingt.
Ānma hatte ihre Standpauke beendet und wollte gerade in ihren Baum zurückkehren, als Piff sie vorsichtig zurückhielt.
»Jetzt wo du nicht mehr so riesig bist, kommst du mich einmal in meiner Höhle auf einen Tee besuchen?«, fragte Piff schüchtern. Die Fee schenkte ihr ein glückliches Lächeln.
»Aber natürlich, mein Freund.«
Dann schwebte sie in den Herzbaum empor und das erste magische Licht kehrte in die Bäume zurück. Piff lächelte zuversichtlich. Die nächsten Lichter würden mit Sicherheit bald folgen.
Ende