
Wie auch im letzten Jahr bin ich auf Social Media Teil eines Adventskalenders von mehreren Autorinnen und Buchbloggerinnen. Hierfür gestalte ich 5 Türchen. Für dieses Jahr habe ich mir überlegt eine kleine Geschichte zu schreiben. An jedem meiner Tage werde ich ein Kapitel einer winterlichen Kurzgeschichte veröffentlichen. Abends gibt es dann auf meiner Facebook Seite noch ein kleines Gewinnspiel. Ich wünsche euch allen eine besinnliche und buchige Adventszeit.
Link zu meiner Facebookseite zwecks Gewinnspiel
Winter im Tausendlichterwald
von Julia Freyer
Kapitel 1
Leise rieselte der Schnee auf den Moos bewachsenen Waldboden. Eine weiche Schicht Puderzucker legte sich auf die Wurzeln des riesigen Herzbaumes, der schon viele Jahrhunderte in der Mitte des Tausendlichterwaldes stand. Seine immergrünen Blätter reckten sich in die kalte Morgenluft. Vereinzelt erschienen bereits die lila Knospen der Winterblüte, die genau zur Mitte des Winters den Baum schmücken würde. Wenn der Herzbaum in voller Blüte stand, fand jedes Jahr das Winterfest statt. Dann kamen alle Bewohner des Tausendlichterwaldes zusammen und feierten ein rauschendes Fest im Schnee. Die Elfen bereiteten bereits tagelang alles für dieses besondere Ereignis vor. Sie schmückten die Lichtung, entzündeten abertausend magische Lichter in den immergrünen Bäumen und delegierten alle anderen anfallenden Arbeiten mit penibler Präzision. Für die Elfen des Tausendlichterwaldes war das Winterfest der wichtigste Tag im Jahr. Dafür musste alles perfekt glänzen, leuchten und glitzern. Auch sonst strebten sie stets nach Perfektion, aber am Hochfest ihrer Göttin musste selbst die Perfektion perfekt sein. Doch lasst uns den Blick für einige Zeit von dieser perfekten Welt abwenden und uns den kleinen Dingen widmen.
Etwas weiter von der Lichtung entfernt, am Fuße eines riesigen Baumes, zitterte ein Stein. Der Schnee, der ihn bedeckte, wurde abgeschüttelt, als sich der Stein langsam bewegte und schlussendlich zur Seite rollte. Zwei sonnengegerbte , bräunliche Hände schoben sich aus dem dachsgroßen Loch unter der Wurzel, das der Stein freigegeben hatte. Es folgten zwei nackte Arme. Das Geschöpf zog sich geschickt aus seiner unterirdischen Behausung. Schließlich kam ein zotteliger Haarschopf zum Vorschein, dessen lila und blassgrünen Strähnen in sämtliche Richtungen abstanden. Die langen verfilzten Haare gehörten zu einem Koboldmädchen, das gekonnt ins Freie kroch. Endlich war der ganze kleine Körper aus dem Loch geschlüpft und streckte sich ausgiebig. Der Kobold grub seine nackten Zehen in den frisch gefallenen Schnee und schauderte kurz. Auch wenn den Bewohnern des Tausendlichterwaldes die Kälte nichts ausmachte, so war es in der Wohnhöhle unter der Erde doch merklich behaglicher gewesen. Aber das Koboldmädchen namens Piff hatte heute viel vor. Sie blinzelte sich mit ihren rosa Augen eine Schneeflocke von den Wimpern, und rümpfte ihre kleine Knollennase. Der Sommer war ihr allemal lieber. Ja, wenn sich alle Kobolde und Gnome auf das Sommerfest vorbereiteten, war das Piffs liebste Jahreszeit.

Langsam machte sie sich auf den Weg in Richtung Herzbaum. Hin und wieder blieb sie stehen, hob einen Stein an und zog kleine Käfer hervor, die sich darunter tummelten. Sie beäugte die Käfer kurz mit aufgeblasenen Backen und warf sie dann mit einem Happs in den Mund. Die Panzer knirschten so schön, wenn Piff darauf biss, und die cremige Füllung lief über ihre Zunge in den Hals. Mit den Händen schmolz sie etwas Schnee und spülte die Käferkrümel mit dem kalten Wasser die Kehle hinab. Sie schleckte sich über die Lippen und schlenderte weiter. Es ging doch nichts über ein köstliches Frühstück to-go.
»Ach ja«, seufzte Piff. Das Leben war gut im Tausendlichterwald.
Piff erreichte nun den Teil des Waldes, der von den Elfen bewohnt wurde. Sie hatten sich direkt um die Lichtung des Herzbaumes herum angesiedelt. Die Elfen waren die einzigen Geschöpfe im Tausendlichterwald, die sich eine richtige kleine Stadt aufgebaut hatten. Oben, direkt unter den Kronen der immergrünen Bäume, hatten sie kunstvoll geschnitzte Baumhäuser errichtet und diese mit Stegen, Hängebrücken und Seilzügen verbunden. Sie gingen Berufen nach und hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die anderen Bewohner des Waldes zu organisieren.
Das Treiben um Piff wurde immer geschäftiger. Sie zog den runden Kopf zwischen die Schultern, um zwischen den hochaufgewachsenen, schlanken Elfen nicht aufzufallen. Heute gelang ihr das ausnahmsweise. Die Elfen waren so gefangen in ihrer Perfektion, dass sie den kleinen braun-lila Fleck der Unvollkommenheit gar nicht bemerkten, der das Bild an einem normalen Tag störte. Aber im Höhepunkt der Vorbereitungen auf das Winterfest waren die Elfen so beschäftigt, dass jemand Unwichtiges wie Piff unter dem Radar lief. Sie musste nur darauf achten keine Dummheit anzustellen und sich wieder in das Bewusstsein der Elfen zu rufen.
Je näher Piff der Lichtung kam, desto schneller und wilder begann ihr Herz zu schlagen. Piff begann nervös zu zappeln und versuchte ihre widerspenstigen Haare zu bändigen – erfolglos. Sie trat durch die letzte Baumreihe und stand in der schneebedeckten Mitte des Tausendlichterwaldes. Vor ihr ragte der Herzbaum in den eisblauen Himmel empor. Das Herz des Tausendlichterwaldes thronte auf einer kleinen Anhöhe über dem Rest des Waldes. Seine starken Äste bogen sich herzförmig zueinander und waren zu jeder Jahreszeit von saftig grünen Blättern umhüllt. Piff staunte immer wieder über seine Pracht, wenn sie ihn erblickte.
Auf einmal passierte alles rasend schnell. Jemand stieß sie im Vorbeieilen an. Piff stolperte ein paar Schritte vorwärts, und stieß gegen eine weitere Person. Diese verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Dabei ergossen sich unzählige kleine Kristallkugeln über den weißen Boden. Piff biss sich mit ihren zwei abstehenden Schneidezähnen auf die Unterlippe und versuchte sich so klein wie möglich zu machen. Doch der Aufschrei der gestolperten Elfe ließ die Zeit auf der Lichtung einfrieren, und plötzlich starrten alle anwesenden Elfen, Zentauren, Feen und andere Geschöpfe sie mit funkelnden Augen an.
»Was fällt dir ein, du tollpatschiger Kobold«, eine erzürnte Elfe baute sich mit verschränkten Armen vor Piff auf.
Piff schaute sich nervös um und flüsterte: »Das war ein Unfall.«
»Pah. Ein Unfall?«, keifte die alte Elfe, »von so einem hässlichen Kobold habe ich nichts anderes erwartet.«
Piffs Gesicht lief knallrot an. Ihre langen spitzen Ohren hingen schlaff nach unten und sie starrte voller Unbehagen auf ihre Füße. Wenn doch nur endlich alle aufhören würden, sie anzuglotzen.
»Wer räumt mir jetzt diese Unordnung wieder auf?«, herrschte die Elfe Piff an.
Piff wusste nicht, was sie tun sollte und zuckte deswegen mit den Schultern. Wann würde sie nur endlich wieder unsichtbar werden?
»Lass gut sein, Mutter«, ertönte plötzlich eine sanfte, glockenhelle Stimme, bei deren Klang Piff am liebsten im Erdboden versunken wäre, »bestimmt will sie ihren Fehler wiedergutmachen und uns bei dem Fest helfen.«
Vorsichtig hob Piff den Kopf und betrachtete die Szenerie vor sich. Die alte Elfe sah immer noch grimmig drein, aber alle anderen Anwesenden hatten sich wieder ihren Arbeiten zugewandt. Neben der gehässigen Elfe stand eine junge Elfe mit weißblonden, wallenden Haaren und den schönsten goldenen Augen, die Piff je gesehen hatte. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken und nie wieder herausgekommen. Die junge Elfe hatte der Alten beruhigend die Hand auf den Arm gelegt und lächelte liebevoll.
»Das willst du doch tun, oder?«, richtete sie nun sanft das Wort an Piff.
»Aber natürlich. Selbstverständlich will ich das«, antwortete Piff hektisch und knetete dabei ihre Finger.
In Wahrheit war sie tatsächlich mit der Absicht hierher gekommen, um bei den Vorbereitungen für das Winterfest zu helfen. Allerdings war es nicht ihre Absicht gewesen, wieder Unheil anzurichten. Im Gegenteil, sie hatte sich von ihrer besten Seite zeigen wollen und der fleißigste Kobold des gesamten Tausendlichterwaldes sein. Und nun stand genau die Elfe, bei der sie hatte Eindruck schinden wollen, vor ihr, und hatte sie in dem peinlichsten Moment ihres ganzen Lebens beobachtet.
»Hier«, die bezaubernde Elfe hielt Piff einen geflochtenen Korb hin, »Sammle die Lichterkugeln alle wieder auf.«
Piff nickte sprachlos und legte ihre Hände um den Korb. Dabei berührte sie die Hand der Elfe und ihr Herz drohte vor Glückseligkeit zu zerspringen.
Galandra, schmachtete sie in Gedanken.
»Oh, du kennst meinen Namen?«, fragte die Elfe. Piff biss sich panisch auf die Lippe. Oh je. Hatte sie den Namen ihrer Angebeteten etwa laut ausgesprochen? Konnte dieser Tag denn noch schlimmer werden?
Kapitel Nummer 2 folgt am 6. Dezember 2023…
Alexandra Kremhoff